In acht Stunden durch die Watzmann - Ostwand
Wir fahren
am Samstag gegen Mittag mit dem Boot von Schönau
am Königssee nach St. Bartholomä. Den schönen
Nachmittag nutzen wir für eine kleine Erkundung
des unteren Wandteils. Gegen 17:30 Uhr sind wir
zurück am alten Jagdschloss und bestellen
Abendbrot. Die Küche schließt pünktlich um 18:00
Uhr. St. Bartholomä ist ein beliebtes
Touristenziel, wenn die letzten Schiffe abends
zurückfahren leert sich nach und nach die
Halbinsel und nur noch eine handvoll Ostwand -
Bergsteiger bleibt übrig. Für uns lohnt es
scheinbar nicht länger zu öffnen. Eine alte
Scheune dient als so genanntes Ostwandlager und
bietet etwa 20 Personen Platz. Die Toilette und
Waschgelegenheiten befinden sich im Haus gegenüber.
Ich nutze den lauen Sommerabend für ein
ausgedehntes frisches Bad im Königssee.
Für die Übernachtung in der Ostwandhütte
empfiehlt sich ein Hüttenschlafsack, Matratzen
und Decken sind ausreichend vorhanden.
Morgens
gegen 03:00 Uhr kommt Bewegung in die Hütte, die
erste Seilschaft geht in der Dunkelheit los (603m).
Wir schlafen noch eine Stunde und sind pünktlich
zum Sonnenaufgang am Wandfuß (830m). Unsere
Stirnlampen verpacken wir in die Rucksäcke und
steigen in das am Vortag erkundete untere Teilstück
des Berchtesgadener Wegs links der Eiskapelle ein.
Hier zeigen sich die ersten Tücken, denn so
mancher Bergsteiger hat sich bereits hier
verlaufen. Die Verhauer sind von Auf- und Abstieg
besonders gut ausgetreten und verleiten geradezu
deshalb zum Versteigen. Die erste scharfe
Abzeigung nach rechts findet Kalle dank eines
kleinen Steinmandls auf Anhieb. Über Grashänge
und Rinnen geht es hinauf auf das Schuttkar (1350m).
Hier sind wir an der ersten von zwei
Wasserstellen der Wand. Wir trinken ausgibig und
füllen die Flasche wieder bis zum Rand auf. Nach
der ersten Pause steigen wir in leichtem
Klettergelände (I-II) am Fuß der Stufe entlang
leicht nach links geneigt aufwärts. Zwei
markante Sporne dienen als Orientierungshilfe,
auf dem zweiten Sporn (1600m) legen wir erstmals
unsere Klettergurte an.
Nach einer
kleinen Steilstufe stehen wir vor der ersten Schlüsselstelle.
Die Platte ist eine 80 Meter hohe, etwa zu 75
Grad geneigte Felspassage im II - III.
Schwierigkeitsgrad. Bohrhaken sind für Standplätze
ausreichend gesetzt. Wir sichern am Fuß der
Platte eine Seillänge. Die Sonne brennt auf die
Felsplatten und es wird heiß wie im Backofen. Am
oberen Ende der Platte zieht der Routenverlauf
sofort nach rechts. Bei schlechter Sicht dürfte
es hier zum ersten Mal richtig kniffelig werden.
Eine Zweierseilschaft überholt uns und zieht
gerade nach oben an uns vorbei. Ein Verhauer der
die Beiden im IV. Grad zur Umkehr auf den
Berchtesgadener Weg zwingt.
Wir erreichen ein kleines Band. An dieser Stelle
muss eine sehr exponierte Felsnase gequert werden
und hier wir es aus meiner Sicht erstmals richtig
luftig. Über die Felsnase geht es auf ein
kleines Band und von hier aus scharf rechts
direkt auf die Rampe, einem 60 Grad geneigten
riesigen Kamin, der 400 Meter aufwärts direkt in
die Gipfelschlucht führt. Im guten und griffigen
II-er Gelände geht es schnell aufwärts. Leider
machen wir hier mit dem berüchtigten Steinschlag
der Wand Bekanntschaft. Ein paar große Brocken
fliegen an uns vorbei. Wir erreichen zügig die
Gipfelschlucht und gelangen an die zweite und
letzte Wasserstelle (2100m) der Tour. Mühsam füllen
wir Tropfen für Tropfen unsere Flaschen bis zum
Rand auf und steigen nach einer 30-münitiger
Pause rechts an einem großen Schneefeld vorbei
weiter durch die Gipfelschlucht. Bereits nach
wenigen Metern müssen wir nach rechts in die
Wand ausqueren.
Durch eine
schottrige Rinne und über einen schrofigen Gratrücken
kommen wir endlich an den Standort der
Biwakschachtel. Leider haben wir die alte berühmte
im Jahr 1951 aufgestellte, aus Flugzeugteilen
gebaute, Schachtel nicht mehr vorgefunden.
Unterhalb im Schutz eines massiven Pfeilers steht
das Fundament für das neue Biwak und die Bank für
Heinz Zembsch, den Bergführer. Die Südspitze
liegt nur noch 300 Höhenmeter über uns. Doch es
ist Zeit für die dritte Rast. Wir haben einen
herrlichen Blick auf den Königssee, die
Eiskapelle und die gegenüberliegenden Gipfel.
Der wolkenlose Himmel und die Thermik in der Wand
lassen es auf gut 2400 Metern immer noch nicht kühler
werden und ich schätze die Lufttemperatur auf 25
bis 29 Grad Celsius. Wir sind jetzt seit gut
sechs Stunden der Sonne schutzlos ausgesetzt und
ich habe bis hierher sieben Liter Wasser
getrunken. Konditionell geht es uns immer noch
richtig gut, wir freuen uns bereits auf den über
uns liegenden Ausstiegskamin und den nahenden
Gipfelerfolg.
Entlang
des massigen Pfeilers geht es leicht rechts
haltend auf den Südgipfel zu. Etwa 150 Meter oberhalb der Biwakschachtel sind wir
wieder einem Steinhagel ausgesetzt, den Körper
so nah wie möglich an den Fels pressen und
warten. Das Gelände bewegt sich durchgängig
zwischen dem II. und III. Schwierigkeitsgrad. Die
Schlüsselstelle ist eine leicht überhängende
ca. acht Meter hohe Felsstufe (III+) kurz
unterhalb des Ausstiegskamins. Als Alternative
kann auf den gesicherten Grat zwischen Süd- und
Mittelspitze ausgequert werden. Die Felsstufe
bietet jedoch klettertechnisch ausreichende
Sicherungsmöglichkeiten und an der oberen Kante
haben nette Vorgänger zwei Schlaufen zum
Hineingreifen hinterlassen, da die wenigen Griffe
schon recht speckig sind.
Die letzten Höhenmeter sind jetzt keine
wirkliche Hürde mehr. Durch eine Rinne steigen
wir kurz unterhalb der Südspitze auf den Grat.
Von hieraus sind es noch gute 20 Meter bis zum
Gipfelkreuz. Oben angekommen werden wir von ca.
zehn Bergsteigern herzlich empfangen, die uns während
ihrer Gratüberschreitung
von der Mittelspitze aus beobachtet hatten.
Wir haben es
geschafft und ein Traum wurde Wirklichkeit!
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